In weniger als einer Woche, am 3. Dezember, werden sich die Regierungen der EU-Länder in Brüssel treffen, um die Einigung über das so genannte Mobilitätspaket zu besiegeln: Eine umfassende Überarbeitung der EU-Vorschriften für den Straßengüterverkehr. Die aktuellen Vorschläge lassen für das Wohl der Fahrer und für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer nichts Gutes ahnen.
Die ETF vertritt seit vielen Monaten konstruktiv die Anliegen der Arbeitnehmer. Aber jetzt stellen wir mit Bedauern fest, dass ein alt bekanntes Verhaltensmuster der EU wieder auftaucht. Nach langen Debatten werden die Kommission und der Rat ungeduldig. Wie immer kommt es hier, im Herzen Europas, vor allem darauf an, eine Einigung zu erzielen. Jeder versäumt es sich anzusehen, was das Abkommen eigentlich aussagt und wie es sich auf die Arbeit und das Leben der 3 Millionen europäischen Bus- und Lkw-Fahrer auswirken wird. Voller Hektik, einen Kompromiss zu finden, riskieren die Minister nun, neue Regeln zu verabschieden, die jeder später bedauern wird.
Was steht also für die Fahrer auf dem Spiel?
Zunächst einmal müssen sie mit mehr aufeinanderfolgenden Fahrtagen und weniger Ruhephasen rechnen. Das ist nicht nur ein Problem für die Fahrer, sondern wird auch die Straßen für alle gefährlicher machen. Müdigkeit tötet.
Nach den geltenden Vorschriften müssen Bus- und Lkw-Fahrer alle zwei Wochen drei Ruhetage einlegen. Was allerdings jetzt als Vorschlag auf dem Tisch liegt, legt den Schwerpunkt auf die Flexibilität für Busunternehmen und Spediteure und soll die superliberalen Länder glücklich machen, damit sie den Kompromiss am 3. Dezember unterzeichnen können. Die Regierungen sind somit bereit, ein rückschrittliches System mit 3 Wochen Fahrzeit und nur 2 Tagen Ruhezeit zu unterzeichnen! Sie würden nicht einmal die Auswirkungen dieser rücksichtslosen Lenk- und Ruhezeitenregelung auf die Ermüdung de Fahrer bewerten wollen. Die letzte europaweite Studie zur Bewertung der Ermüdung von Fahrern stammt übrigens aus dem Jahr 2004. Sie wurde von der IAO durchgeführt, und die Schlussfolgerungen waren alarmierend.
Sind die Verkehrsminister bereit, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, ohne sich ihrer Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit bewusst zu sein? Es scheint so. Wir empfehlen Ihnen, einen kurzen Blick in die lokale Presse der letzten Monate zu werfen. Es gibt zahlreiche Berichte über Verkehrsunfälle. Nehmen wir das Beispiel Belgien: In den ersten 5 Monaten des Jahres 2018 ereigneten sich jede Woche zwischen 1 und 3 Unfälle mit Lkw, Bussen und Reisebussen. Im Jahr 2016 lag die durchschnittliche Zahl der Unfälle mit Lkw-Beteiligung allein in Belgien bei 6 pro Tag – insgesamt 2055 im Jahr.
Nach den neuesten Statistiken der Europäischen Kommission sind in der EU bei 14 % der tödlich verunglückten Radfahrer große Nutzfahrzeuge (Busse, Reisebusse und Lastwagen) beteiligt. Große Fahrzeuge waren auch für 42 % der Todesopfer bei Fußgängern verantwortlich. Im Jahr 2015 starben mehr als 600 Menschen bei Unfällen mit Bussen, Reisebussen und Lastkraftwagen. Wollen wir wirklich noch mehr müde Fahrer auf den europäischen Straßen?
Die Europäische Kommission hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrstoten in Europa bis 2020 zu halbieren. Heute räumt die Kommission ein, dass die Fortschritte bei der Erreichung dieses Ziels zu langsam sind. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die EU-Verkehrsminister im März 2017 die Valletta-Erklärung zur Straßenverkehrssicherheit unterzeichnet haben, in der sie sich verpflichten, erneut auf das Ziel der Kommission hinzuarbeiten. Weniger als zwei Jahre später scheint diese Verpflichtung mit der bevorstehenden Unterzeichnung einer Maßnahme, die Fahrern längere Fahrzeiten und kürze Ruhezeiten abverlangt, völlig vergessen worden zu sein. So viel zum Thema gemeinsamer Denkprozesse unserer EU-Politiker.
Der auf dem Tisch der Minister liegende Vorschlag beinhaltet auch Maßnahmen, um das Nomadentum des Fahrerpersonals, das wochenlang am Straßenrand im Lastwagen schläft, – zu beenden und den Fahrern öfter die Rückkehr nach Hause zu erleichtern. Aber das ist nur möglich, wenn sie akzeptieren, dass sie 3 statt 2 Wochen in ihren Lastwagen schlafen müssen. Und leider ist die Definition der Minister für „zu Hause“… das Land, in dem der Betreiber seinen Sitz hat. Nehmen wir das Beispiel der estnischen, rumänischen oder bulgarischen Fahrer, die für internationale Speditionen mit Sitz in der Slowakei arbeiten – ein expandierendes Geschäftsmodell im Straßenverkehr, da komplexe Beschäftigungsverträge Betrügereien bei Sozialversicherungen und Löhnen vereinfachen. Diese Arbeitnehmer würden nicht mehr wie bisher nach Estland, Rumänien oder Bulgarien zurückgeschickt, sondern nach Bratislava, wenn die neuen Vorschriften dies vorsehen. Es wäre für ihren Arbeitgeber billiger, das ist sicher!
Befassen wir uns mit den Ruhezeiten im Fahrzeug. Diese wurden vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Dezember 2017 mit der Begründung endgültig verboten, dass sie negative Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit und die Gesundheit und Sicherheit der Fahrer hätten. Seit diesem Urteil müssen die Fahrer alle zwei Arbeitswochen die Gelegenheit haben, außerhalb der Fahrerkabine zu übernachten. Aber das ist für die Frachtunternehmen zu kostspielig. Sie wollen, dass ihre Fahrer das Wochenende auf dem Parkplatz verbringen, den LKW und die Fracht bewachen und am Montag um 5 Uhr morgens für die nächste Langstreckenfahrt bereit sind. Daher besagt der Vorschlag vom 3. Dezember, dass Fahrer ihre wöchentliche Ruhezeit in der Kabine verbringen können. In Brüssel ist alles möglich!
Ein kürzlich von den Journalisten von Investigate Europe durchgeführtes Projekt hat gezeigt, mit welchen schockierenden Bedingungen Lkw-Fahrer zurechtkommen müssen. Nach 3 Monaten mit 20 Parkplatzbesuchen und Gesprächen mit mehr als 100 LKW-Fahrern in 15 EU-Ländern wurden Presseartikel in 15 Mitgliedstaaten veröffentlicht. Die Fahrer erhalten nur Niedriglöhne, haben keine Versicherung und leben monatelang in ihren Lastwagen ohne Zugang zu Duschen und Toiletten. Investigate Europe kann belastbare Beweise für die Ausbeutung von Fahrern durch Speditionen vorlegen, die in einer der profitabelsten Branchen Europas, der Automobilindustrie, tätig sind.
Das sind aber noch nicht alle schlechten Nachrichten. Ein kürzlich enthüllter Skandal hat gezeigt, dass philippinische Fahrer mit polnischen Verträgen in die EU gebracht wurden und in Dänemark unter nahezu sklavenähnlichen Bedingungen untergebracht waren, während sie in Deutschland und den Niederlanden arbeiteten. Haben wir deshalb den europäischen Binnenmarkt vollendet?
Die Verkehrsminister können die Augen nicht mehr vor den Millionen von LKW-Fahrern verschließen, die auf europäischen Straßen unter schlimmen Bedingungen unterwegs sind. Wenn sie das
Ruheverbot in der Kabine aufheben, zementieren sie einfach den Status quo eines Sektors mit einer schrecklichen sozialen Bilanz.
Und schließlich kommen wir zur Frage der fairen Bezahlung. Eine faire Anwendung der neuen EU-Vorschriften für entsandte Arbeitnehmer würde die Fahrer vor Lohndiskriminierung aufgrund der Nationalität schützen. Die Fahrer erhalten das Entgelt der Länder, in denen sie Fracht abholen und ausliefern, unabhängig davon, aus welchem Land sie kommen. Das ist der beste Weg, um der Lohnausbeutung und dem unlauteren Wettbewerb ein Ende zu setzen. Die Mitgliedstaaten wollen sich jedoch auf eine erweiterte Liste von Ausnahmen von den Entsenderegeln und auf einige wenig überzeugende Maßnahmen zu deren Durchsetzung und Kontrolle einigen. Damit riskieren wir, dass der Grundsatz des fairen Entgelts für entsandte Arbeitnehmer in der Praxis nie wirklich auf den Straßenverkehr angewendet wird. Tatsächlich bedeutet der Ausschluss von Fahrern vom Grundsatz des „gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit am gleichen Ort“ nichts anderes als die Legalisierung des Sozialdumpings.
Was sind also unsere Vorschläge? Die ETF fordert die Verkehrsminister auf, die Lenk- und Ruhezeiten unverändert zu lassen, damit die Fahrer nicht müde werden und alle Verkehrsteilnehmer sicher sind. Wir fordern ein vollständiges Verbot, die wöchentlich zu gewährende Ruhezeit in der Fahrzeugkabine zu verbringen, wie es dem EuGh-Urteil entspricht. Was wir brauchen, sind Kriterien für Ruhebedingungen, wenn die Fahrer ihre wöchentliche Ruhezeit außerhalb ihres Zuhauses verbringen. Wir fordern, dass es über die einfachen, bilateralen Transporte hinaus keine Ausnahme von den Entsendevorschriften gibt. Und wir fordern die politischen Entscheidungsträger der EU auf, eine intelligente, moderne und digitale Durchsetzung der Vorschriften im Straßenverkehr zu ermöglichen. Die ETF ist ein kompetenter Partner in dieser Debatte. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und konkrete Vorschläge vorgelegt, die in das Mobilitätspaket aufgenommen werden sollten.
Was Europa jetzt braucht, ist weniger Eile bei politischen Vereinbarungen, sondern der echte Wille, die tatsächlichen Probleme des Straßentransports und der dort beschäftigten Arbeitnehmer zu erkennen und zu lösen.
So wie es aussieht, ist der auf dem Tisch liegende Entwurf völlig inakzeptabel. Unsere Gewerkschaften in ganz Europa sind bereit zu handeln, und wir werden uns die ganze Woche bis zum 3. Dezember Gehör verschaffen.